
Die Kraft des Sports in der Rehabilitation nutzen
Für Soldatinnen und Soldaten, die schwer erkranken oder Beeinträchtigungen erleiden, bietet die Bundeswehr ein eigenes Rehabilitationsprogramm. Dabei kann Sporttherapie einen wichtigen Beitrag leisten – aber auch Maßnahmen, die gar nicht unmittelbar mit der Verletzung oder Erkrankung zu tun haben, sondern die Betroffenen im Ganzen betrachten.
Frau Oberfeldarzt Dr. Lison, Herr Oberstarzt Dr. Lison, der Sanitätsdienst der Bundeswehr hat ein medizinisch-dienstlich orientiertes Rehabilitationsprogramm entwickelt. Sie begleiten dieses Programm als Leiter Zentrums für Sportmedizin der Bundeswehr und als Leiterin der interdisziplinären Rehabilitation am Zentrum fachlich. Was kann man sich darunter vorstellen?
Oberstarzt Dr. Andreas Lison: Das Konzept der medizinisch-dienstlich orientierten Rehabilitation ähnelt dem der beruflich orientierten Rehabilitation aus dem zivilen Bereich. Denn es ist so: Wenn Menschen aufgrund einer schweren Erkrankung oder bleibender Beeinträchtigungen an ihrem Arbeitsplatz nicht mehr eingesetzt und daran gehindert werden, einer für sie lohnenden und sinngebenden Arbeit nachzugehen, können sie dadurch zusätzlich schwer erkranken.
Oberfeldarzt Dr. Dörthe Lison: Die Erkenntnis daraus ist, dass die Wiedereingliederung in eine Tätigkeit sowohl ein Rehabilitationsziel als auch eine starke Unterstützung darstellt. Deshalb hat der Sanitätsdienst den Ansatz entwickelt, bei Soldatinnen und Soldaten, die zu rehabilitieren sind, die bestmögliche dienstliche Teilhabe als Ziel zu verfolgen. Denen, die nicht mehr in den Streitkräften tätig sein können, ermöglichen wir den Weg in das zivile Leben – auch durch eine berufliche Weiterentwicklung.

Oberfeldarzt Dr. Dörthe Lison im Gespräch. Quelle: Bundeswehr/Andreas Schindler
Wer ist an diesem Progamm beteiligt?
Oberstarzt Dr. Andreas Lison: Das macht natürlich nicht der medizinische Bereich allein, zu dem neben uns auch das Psychotraumazentrum in Berlin, die Bundeswehrkrankenhäuser unsere Reha-Stützpunkte oder die truppenärztliche Versorgung vor Ort gehören. Daran sind genauso der Sozialdienst, die Personalverantwortlichen und weitere Akteure wie etwa die Militärseelsorge und andere Organisationen beteiligt, beispielsweise das Netzwerk der Hilfe oder international die Fisher House Foundation.
Wie werden Rehabilitationsmaßnahmen geplant?
Oberfeldarzt Dr. Dörthe Lison: Rehabilitation arbeitet immer mit Meilensteinen. Es werden klare Ziele definiert, die immer wieder auf ihre Erfüllbarkeit und Umsetzung geprüft werden. So erkennen wir, ob es Sinn ergibt, weiterzumachen. Am Ende steht die Prognose: Wie wahrscheinlich ist es, dass die Ziele erreicht werden können? Wenn sie nicht erreichbar sind, endet die Rehabilitation. Das bedeutet aber niemals, wirklich niemals, dass ein Mensch allein gelassen wird: Therapie und Pflege dauern an. Und wo klar wird, dass wir Menschen nicht weiter bei der Bundeswehr behalten können, ermöglichen wir den bestmöglichen, beruflich orientierten Übergang ins zivile Leben. Das ist auch eine Frage des Respekts und der Würde der Betroffenen.
Oberstarzt Dr. Andreas Lison: Dieses Vorgehen ist ganz unabhängig davon, ob es sich um eine einsatzbedingte Schädigung handelt oder nicht. Das beeindruckt mich auch an den Invictus Games sehr – der inklusive Ansatz, bei dem es nicht darum geht, ob etwas eine Einsatzschädigung ist. Sondern darum, die bestmögliche Teilhabe zu erreichen.
Können Sie Beispiele dafür nennen, was Meilensteine sein können und wie sie definiert werden?
Oberstarzt Dr. Andreas Lison: Meilensteine oder auch Teilhabe-Ziele werden als Hauptziel mit Zwischenzielen festgelegt. Ziele werden dabei niemals aus dem Bauch heraus oder ohne die betroffene Person festgelegt. Dazu nutzen wir bestimmte, wissenschaftlich fundierte Tools und Assessmentverfahren. Und: Wir setzen auf das sogenannte Patient Shared Decision Making. Das bedeutet, dass wir als Fachleute – mit der jeweiligen betroffenen Person Ziele, die ihnen erreichbar erscheinen im Team besprechen. Die Betroffenen prüfen, ob sie sich damit identifizieren können. Am Ende werden diese Ziele schriftlich fixiert und deren Erreichung immer wieder evaluiert. Beispiele hierfür können die bestmögliche sportliche Teilhabe sein oder Schmerzfreiheit im Alltag. Wenn sich Menschen damit identifizieren, brechen wir das auf Zwischenziele herunter. Nehmen wir jemanden, der schwere Verletzungen der unteren Extremitäten erlitten hat. Wenn das Hauptziel bestmögliche sportliche Teilhabe ist, wären die ersten Zwischenziele erste Laufversuche oder eine Verbesserung des Gangbildes.
Sie setzen bei der Rehabilitation Sporttherapie mit ein – auch bei Personen mit psychischen Erkrankungen. Was ist der Hintergrund?
Oberfeldarzt Dr. Dörthe Lison: Bei psychischen Erkrankungen können die Betroffenen nicht ihre vollen Fähigkeiten abrufen, in der Gemeinschaft mitwirken und ihre volle Dienst- oder Berufsfähigkeit entfalten. Der daraus resultierende Stress hat auch körperliche Folgen – das Risiko für Stoffwechselerkrankungen liegt bei Betroffenen rund 30 % höher. Rehabilitation will negative Folgen der Gesundheitsstörung minimieren und managen. Deshalb ist es in solchen Fällen wichtig, frühzeitig auch allgemeinmedizinisch-internistisch zu intervenieren.
Oberstarzt Dr. Andreas Lison: Dafür haben wir am Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr sportmedizinisch interdisziplinär ausgerichtete Maßnahmen entwickelt, die Betroffene unterstützen sollen. Hinzu kommen sporttherapeutische Trainings, die auf unsere Indikation hin an der Sportschule der Bundeswehr durchgeführt werden. Daneben müssen aber auch weitere Rehabilitationsmaßnahmen frühzeitig greifen: Etwa zur beruflichen Weiterqualifikation, falls die Einschränkungen einen Dienstpostenwechsel erforderlich machen.
Was kann Sporttherapie bewirken?
Oberfeldarzt Dr. Dörthe Lison: Sport lässt Betroffene nicht nur Selbstwirksamkeit erleben. Bewegung hat auch vielfältige Effekte auf Körper und Psyche. Das ist eine wechselseitige Beeinflussung: Es geht bei den sporttherapeutischen Trainings nicht nur um körperliche Reaktivierung, sondern auch um Training an sich, um Routinen, ebenso wie das Arbeiten an Kognition und Emotion. Dabei ist aber auch wichtig: Sport setzen wir wie ein Medikament ein – deshalb muss das auch dosiert geschehen.
Warum?
Oberfeldarzt Dr. Dörthe Lison: Weil Sport Nebenwirkungen haben kann. Nicht nur durch Überlastungsschäden, wenn jemand dauerhaft über seine Grenzen hinaus trainiert. Er kann auch zum Ersatzziel werden. Dann wird eher das verfolgt, weil Erfolge vielleicht schneller möglich sind. Deshalb ist es wichtig, die Sporttherapie zu begleiten, zu kontrollieren und zu evaluieren. Ziele im Sport helfen als Erfolgserlebnis und Wirknachweis sehr. Sie dürfen aber nie das Hauptziel ersetzen.
Welche Bedeutung hat Rehabilitation für die Bundeswehr?
Oberfeldarzt Dr. Dörthe Lison: Das vorrangige Ziel der rehabilitativen Maßnahmen bei der Bundeswehr ist die dienstliche Wiedereingliederung. Es geht hier nicht darum, aus einer defizitorientierten Sichtweise Menschen vermeintlich etwas Gutes tun zu wollen. Damit tut man den Betroffenen sowieso unrecht. Denn eine Rehabilitation ist anstrengend und erfordert von ihnen eine enorme Leistung und Durchhaltewillen.
Oberstarzt Dr. Andreas Lison: Unsere Tätigkeit dient dem Wohl der Patientinnen und Patienten und den Streitkräften gleichermaßen. In der Bundeswehr sind rund 10.000 Menschen als Soldatinnen oder Soldaten oder zivile Mitarbeitende beschäftigt, die eine Schwerbehinderung aufweisen. Sie alle leisten etwas für unsere Sicherheit. Wenn wir diese Menschen nicht weiterbeschäftigen würden, dann würde das ihnen und der Bundeswehr schaden. Das ins Bewusstsein zu rücken, dazu leisten die Invictus Games einen wesentlichen Beitrag.
Rehabilitationskliniken und -maßnahmen gibt es ja auch im zivilen Bereich. Können sie uns erläutern, welche Vorteile es hat, dass die Bundeswehr dafür eigene Angebote unterhält?
Oberstarzt Dr. Andreas Lison: Zum einen ist die Bundeswehr grundsätzlich der Fürsorge verpflichtet. Soldatinnen und Soldaten steht die unentgeltliche truppenärztliche Versorgung zu. Eine Rehabilitation, die im Gesamtsystem Bundeswehr stattfindet, bietet außerdem viele weitere Vorteile. Innerhalb der Bundeswehr greift das soziale Kapital. Die Menschen im Sanitätsdienst, Sozialdienst, die Vorgesetzten sowie weitere Beteiligte: Sie sprechen die gleiche Sprache wie die Betroffenen, kennen das Umfeld und Mindset, nutzen die gleichen Rituale. Es wäre fahrlässig, das nicht zu nutzen. Denn diese Gemeinschaft reduziert Stress und gibt viel Halt.
Was erhoffen Sie sich für die weitere Entwicklung, was können die ersten Invictus Games in Deutschland hier beitragen?
Oberstarzt Dr. Andreas Lison: Im Zentrum für Sportmedizin stehen wir dafür, den Betroffenen über die gemeinsame Definition von Teilhabe-Zielen, die ständige Überprüfung von Rehabilitationsbedarf, -fähigkeit und Prognose einen Weg zu weisen. Hier hoffen wir, dass wir mit den anderen Akteuren im System Bundeswehr noch ein viel engeres, ganzheitliches Angebot schaffen können. Im diesem Gesamtsystem müssen wir Rehabilitation künftig noch stärker als ein Management von komplexen Krankheitsfolgen verstehen, unabhängig vom Auslöser und der Diagnose. Und es sollte allen klar sein, dass dieses Zusammenwirken der Betroffenen, der Zuständigen im Sozialdienst, im Sanitätsdienst und den Personalverantwortlichen eine unverzichtbare Grundlage für Rehabilitation ist. Damit vom Impuls der Invictus Games nicht nur etwas bleibt – sondern daraus etwas Neues wird.

Oberstarzt Dr. Andreas Lison. Quelle: Bundeswehr/Tom Twardy
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