
Zelte, ein Kettenkarussell, Rasenflächen mit spielenden Kindern: Wer das idyllische Gelände des Zuiderparks über den nördlichen Eingang betritt, auf den wirken die Invictus Games in Den Haag zunächst wie ein riesiges Familienfest. Doch wer genauer hinsieht, bemerkt schnell, dass sie etwas ganz Besonderes sind.
Viele der anwesenden Hunde sind Assistenzhunde, in so manchem Sportschuh steckt eine Prothese statt eines Fußes, es gibt überdurchschnittlich viele Rollstuhlfahrerinnen und -fahrer und die Fans bestehen zu einem großen Teil aus Family & Friends. Spätestens beim Erreichen der Sportstätten ist klar: Hier messen sich Sportlerinnen und Sportler mit einer ganz besonderen Lebensgeschichte – und ganz besonderen Zielen.
„Jeder hier ist ein Sieger“
Der Wettkampfgedanke der Invictus Games hat nichts mit Konkurrenz zu tun: „Hier zählen Respekt und das Miteinander. Jeder, der hier ist, ist schon allein aufgrund dieser Tatsache ein Sieger“, erklärt Vocko, Teamcaptain von Team Germany, den Geist der Spiele. Seine Leistungen im 100- und 200-Meter-Sprint und im Diskuswerfen vergleicht er nicht mit anderen: „Ich mache das hier nur für mich. Ich bin mit mir und meinen Leistungen sehr zufrieden: Ich wollte nicht Letzter werden – und das habe ich geschafft.“ Mit dieser Einstellung ist er nicht allein. Auch Denise aus Team UK ist nach ihrem Sprint über 100 Meter überglücklich: „Ich bin gestartet und ins Ziel gekommen. Das ist alles, was ich wollte. Ich bin so glücklich, dass ich sogar fast vergessen habe, wer gewonnen hat.“


Begegnung und Austausch
Der deutsche Athlet Franz sieht in den Invictus Games die Chance auf Begegnung: „Für mich ist das Besondere an den Invictus Games, dass wir mit so vielen Nationen zusammenkommen.“ Besucherinnen und Besucher spüren das internationale Flair des Sportevents vor allem auf den Zuschauerrängen und in der „Fan Zone“. Dort können sie Sportarten wie Bogenschießen oder Rollstuhlbasketball selbst ausprobieren, die Arbeit von Schutzhunden und Marines kennenlernen oder in Kontakt mit „Family & Friends“ kommen. Die Sportlerinnen und Sportler hingegen halten sich von diesem großen Trubel eher fern. Sie begegnen ihren internationalen Kameradinnen und Kameraden in den Wettkämpfen, in den Hotels und im „Nations Home“ auf dem Sportgelände.


Den Weg gemeinsam gehen
Die Invictus Games stehen für die Gemeinschaft und den Zusammenhalt auf dem Weg zurück ins Leben. Alle Sportlerinnen und Sportler eint eine körperliche oder geistige Verletzung, die sie im Rahmen eines ganzheitlichen Ansatzes auch mit Sport therapieren. Deshalb wird nicht nur für den Gewinner oder die Gewinnerin einer Disziplin geklatscht, sondern so lange, bis auch der oder die Letzte im Ziel angekommen ist. Deshalb feuert der deutsche Goldmedaillengewinner Alex seinen Kameraden Marc im Diskuswettkampf von der Seitenlinie an: „Du kannst das, du brauchst dich nicht verstecken!“ Deshalb laufen bereits im Ziel angekommene 200-Meter-Läuferinnen zurück und begleiten Lisa aus Team UK auf ihren letzten Metern bis ins Ziel. Deshalb stützen gestandene Männer wie Dieter nach vier Minuten Indoor-Rudern ihren polnischen Kameraden, wenn ihm die Muskeln in den Beinen versagen und er nicht mehr ohne Hilfe laufen kann. Die Soldatinnen und Soldaten gehen bei den Spielen nicht nur sportlich, sondern auch emotional bis an ihre Grenzen – und darüber hinaus. Viele sind bereits vor dem Start den Tränen nahe. Vielleicht aus Anspannung, Stolz oder schlicht angesichts der überwältigenden Unterstützung durch die Family & Friends. Nach dem Wettkampf geben viele Soldatinnen und Soldaten ihren Gefühlen nach und liegen weinend in den Armen ihrer Teams, Trainerinnen und Trainer oder Family & Friends.


FUAV sorgt für Überraschung
Es sind aber auch die kleinen Überraschungen, die in Den Haag für echte Invictus-Momente sorgen. So hat der Förderverein zur Unterstützung der Arbeit mit Versehrten am Standort Warendorf e.V. (FUAV) Marc kurz vor seinem Diskuswettbewerb überrascht und ihm eine Extraportion Motivation gegeben: „Meine Begleitung für Den Haag ist einer meiner Kameraden. Der FUAV hat es meiner Partnerin und meinen Kindern ermöglicht, ebenfalls nach Den Haag zu reisen. Sie waren gerade rechtzeitig zum Diskuswettkampf da.“

Bei eben jenem Diskuswettbewerb tauchten auch überraschend der Gründer und Patron der Invictus-Games Harry, Duke of Sussex, und seine Frau Meghan, Duchess of Sussex, auf. Sie unterhielten sich ungezwungen mit den deutschen Diskuswerfern und ließen sich mit ihnen fotografieren. „Meine Mutter ist Engländerin, deshalb freut mich der Besuch der beiden ganz besonders“, berichtet Vocko sichtlich erfreut über den prominenten, nahbaren Besuch.

Ja, ich will!
Überraschungen gab es am zweiten Tag der Invictus Games auch bei den Leichtathletikwettbewerben – jedoch außerhalb der Wettkämpfe. Denn gleich zwei Leichtathleten entschieden sich, ihren Partnerinnen bei den Invictus Games einen Heiratsantrag zu machen – und beide Frauen sagten „Ja“! Der dänische Athlet Lasse und seine Verlobte Karina gehen in Zukunft als Mann und Frau durchs Leben. Der rumänische Sprinter Angel Paul kniete unmittelbar nach dem Zieleinlauf über 100 Meter vor seiner Cezara nieder und hielt um ihre Hand an. Im Publikum vernimmt man Stimmen, die Heiratsanträge bei den Invictus Games bereits als Tradition bezeichnen. Neben den beiden Anträgen der Leichtathleten soll es in den folgenden Tagen noch zwei weitere gegeben haben.
Die Invictus Games sind eine einzigartige Sportveranstaltung. In Den Haag sind sie ein bisschen von allem: Familienfest, Sportevent, Parkspaziergang, internationales Festival. Vor allem aber stellen sie Menschen, die durch Verletzungen in Einsatz und Dienst oder durch Erkrankungen an Körper und Seele bleibende Beeinträchtigungen erlitten haben, sowie ihre Angehörigen in den Mittelpunkt. Menschen, die sich mit ihrem Willen und ihrem Lebensmut neue Perspektiven geschaffen haben. Wir freuen uns deshalb, die Spiele 2023 in Düsseldorf ausrichten zu dürfen.