
UNSICHTBARE VERWUNDUNG: Gedanken eines Veteranen zur Kampagne
Als Einsatzveteran Jan die Kampagne UNSICHTBARE VERWUNDUNG der Invictus Games Düsseldorf 2023 presented by Boeing sieht, schreibt er auf, wie sich Flashbacks bei ihm äußern. Seine Gedanken und Bilder dürfen wir hier mit Euch teilen.
Seit dreizehn Jahren wird den Gefallenen und Verwundeten, dem sogenannten Karfreitagsgefecht gedacht. Heute Morgen, auf dem Weg zur Arbeit, shuffelte es mir “Immer wieder” von M*Bates in die Ohren.
🎵 In die Ferne gehen, heißt auch Abschied nehmen.
Von zu Haus und Sicherheit, Geborgenheit.
Ungewiss ist der Lauf der Zeit…
Vielleicht fragst Du Dich, was mach ich hier?
Ist es eigentlich erwähnenswert, vergiss es nicht:
Ein ganzes Heer steht hinter Dir.
Immer wieder kommt eins zum andern.
Es ist Zeit, was zu verändern.
Gemeinsam, aus vielen Ländern. 🎶
Hallo, ich bin Jan und ich bin Einsatzveteran! In den nächsten Sätzen nehme ich euch ein wenig mit in meinen Kopf und damit in meine Erinnerungen. Im Juli 2010 stand ich im militärischen Bereich des Flughafens von Kabul und hatte keine Ahnung. Im Februar 2011 landete ich militärischen Teil des Flughafens Köln Wahn und hatte etwas mehr Ahnung.
In den Monaten dazwischen schlief ich in einem Zelt mit 14 Amerikanern und einem Kanadier, flog mit meinem Team kurz und quer durch Afghanistan, stritt mich mit einem amerikanischen Contractor und scherzte mit tschechischen ABC/SE Soldaten [Anm.: ABC/SE ist die Abwehr von Atomaren-, Chemischen- und Biologischen Kampfstoffen].

Nach dem Studium war ich als Offizier der Luftwaffe erst in der Allgemeinen Grundausbildung, später in den Lehrgängen der Unteroffizierschule der Luftwaffe in Heide und Appen eingesetzt. Mein Bruder ging 2002 in seinen ersten ISAF Einsatz, 2010 folgte sein zweiter. Meine Lehrgangsteilnehmer, mein Chef, sie alle hatten Einsatzerfahrung. Ich wollte diese Erfahrung auch machen. Und so stand ich dann im Juli 2010 in Kabul.
Ich war in einem multinationalen Team. Zwei Franzosen, ein Amerikaner und ich. Wir waren im taktischen Kommando der ISAF Mission, das Team für Force Protection & CBRN. Wir waren somit mit allen damals in Afghanistan vorhandenen Regional Command (RC) im Austausch zu den Themen Objektschutz, worunter Camps und Flughäfen fielen, und ABC Abwehr [Anm. Bei CBRN und ABC handelt es sich um die Abwehr von Atomaren- (Nuklearen & Radiologischen), Biologischen und Chemischen Kampfstoffen].
Dadurch kam ich Kabul viel herum, in der Erinnerung verschwimmt so manches, aber wir fuhren fast jede Woche durch die Stadt zu verschiedensten kleineren Camps. Und wir flogen in verschiedene Regional Commands. Dadurch war ich zwar nie nur drin, aber auch nie richtig draußen.
💭
Es sind nur wenige Sekunden, ich verliere nicht das Hier und Jetzt aus den Augen, aber ich spüre körperlich, wie sehr diese sechs Monate mich von damals bis heute prägen.
Gefährliche Situationen gab es zwar auch, die will ich hier jedoch nicht beschreiben, denn die lösen bei mir Erinnerungen aus, die ich lieber nicht in Tiefe erleben will. Nur so viel, es waren keine Gefechte – aber Situationen, die einen innerlich in Unsicherheit schweben lassen, weil man keinerlei Kontrolle über die Situation hat. Dieses Gefühl wurde mir auch erst einige Jahre nach meinem Einsatz klar. Was mich zurück zu dem eingangs zitierten Song führt:
Der Song kam vor über zehn Jahren raus, doch ich habe mit ihm immer meinen Einsatz im Ohr. Wenn das Wort “Kabul” fällt, merke ich, wie sich mir der Magen zusammenzieht, ich mich innerlich stark anspanne und “dort” bin. Es sind nur wenige Sekunden, ich verliere nicht das Hier und Jetzt aus den Augen, aber ich spüre körperlich, wie sehr diese sechs Monate mich von damals bis heute prägen.
Ich sehe dann Szenen aus Kabul, die Straßen, den Verkehr, den Trubel, direkt vor Augen. Und ich bekomme „Wüstentarn“ vor die Augen. Dort im Einsatz trug ich eben jene Uniform. Ich kann sie bis heute nur mit eigentümlichem Gefühl in der Öffentlichkeit sehen, es ist mit mir unmittelbar mit der Zeit dort verbunden.

Auf der Rückfahrt wurde mir von Kabul Dreams “Shahab” eingespielt. Eine Band, die ich auch erst nach meinem Einsatz kennenlernte, die aus Afghanistan kommt, inzwischen in den USA lebt und eben jenes Lied mit dem Video in Kabul gedreht hat. Zwar verstehe ich weder Dari noch Pashto, aber der Gittarrensound, der packt mich.
Das sind Beispiele, wie solche Flashbacks oder auch Trigger funktionieren können.
Diese Auslöser hatte ich nicht unmittelbar nach dem Einsatz. Erst etwa zwei Jahre kamen die auf. Ich hatte die Bundeswehr da bereits verlassen und war dabei, diese Phase in meinem Leben auch innerlich abzuschließen. Und dann kam eben jene Flashbacks. Nie besonders stark, nie dass sie mich im Alltag einschränken, aber doch so, dass ich spürte und spürte, wie sehr mich diese Zeit dort geprägt hat.
Afghanistan wird immer ein Teil von mir sein, dafür bin ich auch dankbar. Denn eins wünsche ich mir: Dass dieses Land mit seinen Menschen hoffentlich noch zu meinen Lebzeiten einen Besuch möglich macht. Ein vielleicht unerfüllbarer Wunsch.
💬Wir werden die Ukrainer weiter mit Material, Munition und Ausbildung unterstützen müssen. Wir dürfen sie aber auch nicht bei der Behandlung der unsichtbaren Verwundungen im Stich lassen. Diese Narben werden durch die Generationen gehen.
Die Idee, dies alles etwas ausführlicher über mich und auch für mich niederzuschreiben, kam neulich auf. Ich sah die neue Videokampagne der Invictus Games dort wurden Teilnehmer vorgestellt, die nicht am Körper, dafür aber umso mehr an der Seele verwundet waren.
Durch den Krieg in der Ukraine kommen die Themen von Verwundung, PTBS und Traumata wieder hoch, werden in der Presse als aktuelles Thema behandelt. Ich wundere mich darüber, dass es besprochen wird, als sei es etwas Neues sei. Das liegt vermutlich an meiner persönlichen Betroffenheit, wobei ich mich da als nur angekratzt und nicht als seelisch verwundet bezeichnen würde, ein Teil meines Alltags geworden. Eine Verwundung, mit der die Bundeswehr und die aus ihr herausgehenden Veteranen seit mindestens dreissig Jahren zu kämpfen haben.
Wir werden die Ukrainer weiter mit Material, Munition und Ausbildung unterstützen müssen. Wir dürfen sie aber auch nicht bei der Behandlung der unsichtbaren Verwundungen im Stich lassen. Diese Narben werden durch die Generationen gehen.
UNSICHTBARE VERWUNDUNG: Die Kampagne
Rund die Hälfte der Wettkämpfer:innen bei den Invictus Games hat keine sichtbare Verwundung. Eine dieser unsichtbaren Verwundungen kann die posttraumatische Belastungsstörung sein – PTBS. Gemeinsam mit Wettkämpfer:innen des Team Deutschland und Expert:innen der Bundeswehr starten die Invictus Games Düsseldorf 2023 nun eine deutschlandweite Kampagne dazu.